Memorial / Erinnerung

In memory: für eine europäische Erinnerung an das nationalsozialistische Verbrechen ist der Titel der Tagung, die 1994 in Arezzo stattfand. Sie bot die Koordinaten für eine neue Art der Betrachtung der Massaker, die an der Zivilbevölkerung im Verlauf des Zweiten Weltkrieges verübt wurden: nicht mehr nur auf eine Studie der Strategie des Terrors reduzierte Betrachtung, den die militärische Führung des III. Reiches und ihre faschistischen Kollaborateure in Europa im Verlauf des Konflikts exekutiert haben, um die öffentliche Ordnung unter Kontrolle zu halten, oder die Wahl der Strategie seitens des bewaffneten Widerstandes (Resistenza) und der antifaschistischen Parteien im Untergrund gegenüber der Gewaltandrohung, sondern auch die Studie der subjektiven Dimension des Horrors und des erlittenen Schmerzens. Es bedeutete den Durchbruch eines neuen Forschungsfeldes in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion: die Erinnerung an die persönlichen Gewalterfahrung von diejenigen, die der Brutalität des „Kriegs gegen Zivilisten“ ausgesetzt waren.

Diese Entwicklung brachte eine zusätzliche Aufgabe für Historiker: die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte einer Interpretation der Fakten, die zwar die Hauptverantwortung für die Massaker an den Wehrlosen nicht nur an die dinglich Ausführenden, sondern auch an die Partisanen gab, da sie die nazistischen und faschistischen Reaktion schuldhaft provoziert hätten.

Die analytische Beschäftigung mit dieser Typologie der Erinnerung hob die bestehende Kluft zwischen einer öffentlich-institutionellen Erinnerung an den Konflikt und einer privaten Erinnerung an die Massaker an Zivilisten hervor, die den italienischen Fall für lange Zeit charakterisierte. Es fand eine Phasenverschiebung der Wahrnehmung statt – in verschiedenen Formen auch in Süditalien gegenwärtig, wo die Erinnerung an die Brutalität der Befreier und an die anglo-amerikanischen Bombardements vorherrscht- die verstärkt wird durch die fehlende gerichtliche Definition der Formen und der Verantwortung für die ausgeübte Gewalt gegen Zivilisten.

Die Erinnerung der Opfer war bis vor einigen Jahrzehnten von der öffentlichen nationalen Narration ausgeschlossen und durch die Gründung der Vereinigung der Märtyrer in einen ausschließlich lokalen Kontext verwiesen, sogar war sie geradezu gezwungen in der Familien- oder Privatsphäre zu bleiben. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre setzte eine Wende ein, die Opfererinnerung bekam eine Aufmerksamkeit und Bedeutung, die die institutionelle und rechtliche Anerkennung des erlittenen Gewalts, bewirkte. In der neuesten Phase der Gerichtsprozesse, die vor den Militärgerichten verhandelt wurden, ist die Anfrage nach öffentlichen Anerkennung der Opfererinnerung auf der rechtlichen Ebene angenommen worden – auch dank der Anstrengungen der Nationalen Vereinigung der Partisanen, die oft als Nebenkläger auftraten. Von den italienischen Staatspräsidenten seit 2000 vorangetriebene neue politische Ausrichtung der Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg bewirkte auch auf der politischen Ebene die Anerkennung. Beispielhaft seien genannt: Die Aufwertung der Geschichte der Massaker und die Pilgerfahrt zu den Gedenkstätten, in Gang gebracht vom Präsidenten Carlo Azeglio Ciampi ab 2001 um die “Versöhnung ohne Amnesie” zu fördern; der Besuch des Sacraio ai Caduti in Marzabotto vom deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau und vom italienischen Präsiden Carlo Azeglio Ciampi, am 17. April 2002, die Hommage an die Opfer des Massakers in Sant’Anna di Stazzema, gemeinsam begangen vom italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano und vom Bundespräsidenten Joachim Gauck 2013.

Mit dem Bewusstsein, dass die Konfrontation zwischen den dissonanten Erinnerungen in der öffentlichen Diskussion in Italien in der Entwicklung eines spezifischen Interesses in der Geschichtsforschung für die Gewalt und Massaker an der Zivilbevölkerung eine wichtige Funktion hatte, hat die Forschung begonnen die Sammlung von Daten, die mit der Erinnerung verbunden sind, in der zeitlichen Entwicklung zu strukturieren: Bestandsaufnahme der Orte, die zur Symbole der Erinnerung wurden, die Museen, die Gefallenen Stele, die Gedenktafel, die Typologie der Anerkennungen und der Ehrungen auf institutionellen Ebene, die Formen der Gedenkveranstaltungen, die in verschiedenen Kontexten angewandt werden und die spezifischen Charaktere der lokalen Erinnerungen.